Wer hat Angst vor Neonpink, Orange, Rot, Violett und Grün?

Zu Polly Habuzins Malereien

Niemand! Oder doch? Polly Habuzins Bilder sind schön, ästhetisch, vielleicht schon dekorativ? Das ist eine Frage, die sich zeitgenössische Kunst gefallen lassen muss. Sind ihre Bedingung und Immanenz die der kritischen Auseinandersetzung? Sind die vielen Ebenen, Zitate, das Ironische, Ortspezifische, das Gebrochene eines Kunstwerkes generell eine der möglichen Definitionen und Gesetzmäßigkeiten von zeitgenössischer Kunst? Dass auch ungebrochene Positionen Teil der zeitgenössischen Kunst sein können, lässt sich anhand von Polly Habuzins Arbeiten beantworten: Es werden malereiimmante Fragestellungen behandelt und mit einer der frühesten Rezeptionserfahrungen von Kunst überhaupt verbunden, nämlich dem Genuss, dem Erfreuen an der Farbe und ihrer Wirkung.

Polly Habuzin verwendet Farben so, dass man sie anfassen, riechen, vielleicht schmecken, auf jeden Fall lange ansehen möchte. Es sind delikate Farbzusammenstellungen, die mit Hilfe von Druckstöcken aus Baumarktmaterialien entstehen. Ein Bild kann sehr viele Farbschichten erhalten, die immer wieder abgezogen (weggenommen) werden. Durch die Technik des Aufstanzens der Acrylfarben entstehen Formen von Netzen und Quadraten auf der Leinwand, die dabei mehrmals gedreht wird.

Im Mittelpunkt steht bei Habuzin die Farbe. Als erste Farbschicht wählt sie oftmals Neonfarben. Es handelt sich um Farben, die in ihrer räumlichen Wirkung von denen anderer Farben abweichen. Sie nehmen besonders schnell und intensiv Kontakt mit dem Auge der Betrachter:in auf. Nicht umsonst heißen sie auch Leuchtfarben und haben eine implizite dreidimensionale Wirkung. Sie sind „magisch“ und werden in Verbindung mit Zauberei, Jahrmarkt, Kitsch und Trash verwendet. Es haftet ihnen auch eine Konnotation des Billigen, Geschmacklosen oder gar Obszönen an. 

Sven Lütticken (A-Prior N-5, 2001) beschreibt die Tradition der chromophoben wie der chromophilen Künstler:innen und Theoretiker:innen. Zum Beispiel wurde Farbe mit dem Sinnlichen, Niedrigeren, Weiblichen, mit Dekadenz, Homosexualität, dem Primitiven, Exotischen und Nicht-Westlichen in Verbindung gebracht. Habuzins Werk ist bei den Chromophilen anzusiedeln.

Neben dem Ästhetischen geht von diesen Farben auch eine besondere Auffälligkeit aus; die Reaktion auf diese Farben ist anders als bei „normalen“ Farben. Ebenso treten für die westliche Wahrnehmung intensive, überbordende Farbzusammenstellungen in anderen Kulturen auf, z.B. in Asien oder Afrika.

Die Farbwahrnehmung an sich gelangt in den Vordergrund: Es ist eine Feier der Farbe. Durch das sich verändernde Tageslicht, verändern sich auch die Farben und beginnen zu leuchten. All dies geschieht in den Bildern von Habuzin, beispielsweise in Anthea (2020), Symphonie (2020), Metamorphose IV (2021), Theodora (2021), Jeunesse I (2021). Gerade auch das Hochformat und das Quadrat als Formate unterstützen diese Art der Wahrnehmung.

Ine Gevers stellt zweierlei für die Wirkung und den Umgang mit Farbe generell fest:

„Colour withdraws itself from the symbolic order, from the rules of our social and lingual existence. According to Julia Kristeva, colour not only emanates from the regions of our existence that are ‘pre-verbal’ and, as such unconscious; it also transports us irretrievably back to those regions. […] colours are the most free and indeterminate signifiers that we know and their potential is unbounded at the moment that they come inscribed in the encoded reality in which we live.“ (A-Prior, N-5, 2001, S. 41)

Andererseits werden Farben politisch, kulturell und kommerziell aufgeladen, verschiedene Ideologien bemächtigen sich ihrer und sie können die trivialsten Bedeutungen erlangen.

Über Farbe, Farbzusammenstellungen, Farbmuster und ihre Neukombination wird deutlich, dass kulturelle Farbzuschreibungen nicht natürlich gegeben, sondern veränderbar sind. Die Bedeutungen von Farben sind kulturelle Vereinbarungen, die sich auch in Farbkombinationen widerspiegeln. Gleichzeitig ist jede Kultur von vielen, zeitlich auseinanderliegenden Einflüssen geprägt, nimmt diese in sich auf und eignet sie sich an.

Den grellen Farben haftet in der Kunst etwas Merkwürdiges an, es sind „Außenseiterfarben“ der Kunstgeschichte. Seit den 1950er Jahren gelangen diese Farben mit ihrer eingeschränkten Palette in den Kunstkontext.

Mit Neugierde und positiv konnotierte Naivität lotet Habuzin die Möglichkeiten des Zufalls, des Spiels und der Sinnlichkeit von Farbe aus. Farbfelder, Linien, Netze und Raster kreieren ein Gefühl von Leichtigkeit, indem harmonische Klänge der Betrachter:in entgegentönen. Habuzin bietet eine meditative Fläche an, die vor allem aus der Nähe betrachtet werden soll, damit man in ihr ist und sie nicht mit distanziertem Blick wahrnimmt. Hier treffen sich dann die angebotenen Emotionen mit denen der Rezipierenden. Ihre Bilder sind sichtbar, machen etwas sichtbar und thematisieren auch die Sichtbarkeit an sich.

Niemand braucht also Angst vor den delikaten Farben in Polly Habuzins Bildern zu haben. Das Gegenteil ist der Fall.

Julia Wirxel

Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin, Berlin 2021

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Farbe – im Oeuvre Polly Habuzins spielt sie die Haupt- und sämtliche Nebenrollen, nimmt Vorder-, Mittel- und Hintergrund gleichermaßen ein. Farbe wird hier zum Ereignis, wenn ihr magisches Kolorit gesehen und ihre Materialität gespürt werden will. Die Gemälde sind Kosmen, die jenseits konkret-inhaltlicher oder symbolischer Intentionen tief bewegen. Denn sie vibrieren, sie leuchten – sie leben. Die in zahlreichen Schichten aufgetragene Farbmasse wird im Arbeitsprozess jedoch auch immer wieder partiell abgezogen. Auf diese Weise reift der Bildkorpus sukzessive durch übereinander lagernde bzw. sich ineinander verschränkende Ebenen und Strukturen. Und so verhalten sich nicht nur die variantenreichen Farbwerte zueinander, sondern auch die unterschiedlichen Momente des Schaffens. Gleichsam archäologischen Lagen, birgt jedes Werk seine Vergangenheit in der Gegenwart. 

Dr. Eva Mongi-Vollmer, Frankfurt am Main 2022

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Die Farben der Sonne

Auf den Leinwänden von Polly Habuzin wächst eine Raumstruktur, die einerseits durch ihre bunte, teils grelle Farbigkeit, zum anderen durch eine enorme, illusionierte Tiefenräumlichkeit frappiert.

Obwohl eindeutig ungegenständlich, „abstrakt“ gemeint und ohne jede Assoziation zu einer

wie auch immer gearteten Gegenständlichkeit konzipiert, wecken diese wundersamen Farbräume 

die Lust und das unstillbare Verlangen ihre Betrachters, darin Landschaften, Detailformen kostbarer Knüpfteppiche oder Anklänge an die Werke anderer Künstler entdecken zu wollen.

Polly Habuzins zumeist mittelformatige Gemälde schicken Ihren Betrachter damit auf eine Reise in seine eigene Vorstellungswelt, auf eine abenteuerliche Wanderung durch seine individuelle, innere Bilderwelt und auf eine Spurensuche in die Geschichte der Bildende Kunst.

Die Malerei des Informel, des Tachismus, aber auch die komplexen Seerosen-Bilder Claude Monets scheinen für diese Raum-Farb-Wunder Pate gestanden zu haben… Und doch bleiben diese farbfunkelnden Kostbarkeiten Produkte einfacher physikalischer Vorgänge und eines untrüglichen Sinnes für Farbe und Raum.

Dr. Gerhard Finckh, Düsseldorf 2022

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Farbe als Konstrukt: 

Die Bildwelten von Polly Habuzin spielen mit der Materialität von Farbe. Und lassen unsere Vorstellung des Monochromen zur reinen Illusion werden. Denn durch unzählige Schichtungen und gezielte Stanzungen verschwimmen die Grenzen von Rot, Grün oder Blau und verschmelzen zu hypnotischen Colorhybriden, die sich jeglicher Kategorisierung entziehen. So gelingt es der Kölner Künstlerin gleichsam Farbe zu abstrahieren – und sie in völlig neue Wahrnehmungssphären zu überführen. Das Ergebnis sind Bilder voller Leuchtkraft und Tiefe, deren Faszination in der Dualität von linearer Ordnung und polychromem Chaos liegt.

Ihre Werke waren bereits in Ausstellungen im Art Château de Mussel, Valserhône (FR) und der Barlach Halle K in Hamburg zu sehen und auf der Art Karlsruhe und der ArtMuc/München vertreten. Zudem sind sie in zahlreichen europäischen Privatsammlungen zu finden. 

Yorca Schmidt-Junker, September 2023

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